Dr. Karla Bilang zur Vernissage der Ausstellung

 

DREI IN HUNDERT

Elli Graetz | Eberhard Hartwig | Rahel Mucke

Zeichnung • Druckgraphik • Objekt

in der Galerie 100 am 21. Januar 2015

Elli Graetz

In ihrem Linolschnittpaar „Kopf“ zeigt Elli Graetz einen groß ins Bild gesetzten Frauenkopf mit archaischer Stilisierung und im strengen Profil. Die klare Trennung von Figur und Grund gibt der Darstellung eine geradezu hieratische Strenge, die an westafrikanische Skulpturen erinnert. In die lapidare Großform ist ein Netz feiner Linien eingeritzt, strukturierend gegen die geschlossene Fläche arbeitend.
Das Prinzip Umrissform und Binnenstruktur ist auch bestimmend für die Serie „Vergänglichkeit“ aus korrodierten und geätzten Metallplatten – nur das hier die Wertigkeit eher umgekehrt zu sein scheint. Die Auflösung der Form lässt die Binnenstrukturierung mit ihren Ätzspuren und Formaufbrüchen als das eigentliche in den Vordergrund treten. Die Struktur dominiert die Form, so dass von Deformation gesprochen werden kann. Die Arbeit ist prozesshaft und als Sinnbild für Zeitlichkeit zu verstehen, auch für das Wirken der Elemente der Natur, wie wir es aus der fernöstlichen Kultur kennen, wo beispielsweise gerade die Einwirkung der weichen Natur, wie Wasser oder Witterung, auf die harte Natur, wie Stein oder Metall, zum Gegenstand der künstlerischen Darstellung gemacht wird.
In diese Kategorie gehören auch die beiden Metallobjekte, benannt nach ihrem Fundort „Madeira“. Es sind reine Fundstücke im Sinne der Surrealisten, in denen das Erkennen der ästhetischen Werte im Sosein des gefundenen Gegenstandes der eigentliche künstlerische Akt ist.
Anders verhält es sich bei den „Ein-, Zweibeintieren“, die zusammengeschweißt sind aus alten Eisenteilen, wie Türbeschläge, Zaunhalterungen usw. Hier steht das Hineinsehen in die gestalterischen Möglichkeiten und die Kombination der Formen zu einem Phantasietier im Vordergrund. Der ursprüngliche Fundgegenstand bleibt vollkommen erhalten und als solcher erkennbar. Durch die Art der Kombination erst entsteht die skurrile Form eines erdachten Tieres. Der Betrachter nimmt also immer beide Ebenen wahr, die Ebene der Vergangenheit und die Ebene der Gegenwart.
Von anderer Beschaffenheit sind die „Merkwürdigen Tiere“, aus dem Fleck heraus entwickelte Tuschzeichnungen, die Wesentliches aus dem spontanen Ausdruck heraus darstellen. In ihrer offenen Bildstruktur und der scheinbaren Flüchtigkeit der Zeichnung wird der Eindruck des beobachtenden Auges direkt niedergeschrieben.
Diese beiden Werkgruppen stehen für die Antwort einer Berliner Künstlerin auf das Landleben, auch auf das Befreiende, was daraus entspringt, eine Leichtigkeit in der Darstellung und ein leicht ironischer Hintersinn bei der künstlerischen Begegnung mit der ländlichen Welt.

Eberhard Hartwig

Eberhard Hartwig stellt sich in dieser Ausstellung als Systematiker vor. Fast alle Arbeiten haben das quadratische Format mit minimalen Abweichungen. Das Quadrat ist die Form des Ausgleichs der Richtungen, quasi ein Idealmaß. In diese Quadratform wird mit sparsamen bildnerischen Mitteln eine Komposition eingebracht bzw. eine Situation erzeugt. Bei den Monotypien eine Grundlinie unten, parallel dazu eine waagerechte Obenlinie und Kreisformen. Wir erleben die Rückführung auf die elementaren Werte des Bildes, auf Punkt und Linie. Ein Punkt steht für Ruhe, Anfang oder Ende, die Linie für Bewegung. Mit den Markierungen von oben und unten wird ein Raum suggeriert. Die leere Fläche wird zum Umraum, zum Spielraum für Empfindungen von Weite oder Nähe, ein kostbares bildnerisch unbesetztes Territorium. Die Linie selbst ist in den Monotypien seismographisch gezogen, behutsam und klar, ohne Korrekturen; so wird die Bewegung der Linie nacherlebbar.
Auf den ebenfalls kleinformatigen quadratischen Wellpappen zelebriert der Künstler den Dialog von Freiraum und minimalen Formelementen zusätzlich mit den Mitteln einer sparsamen Farbform, kombiniert mit einer Schwarzform oder einem gedruckten Strukturfeld. Es ist eine reduzierte Ästhetik, in der die Elemente zur Wirkung kommen und ein Gefühl vom Sein am richtigen Ort vermitteln. Es geht um die Grundprinzipien der Komposition, um Bewegung im Bild, um den Anschnitt am Rand, um Spannung zwischen Form, Farbe und Fläche.

Rahel Mucke

Während Eberhard Hartwig Linie und Farbe sparsam einsetzt, arbeitet Rahel Mucke mit der Fülle der bildnerischen Mittel und mit dem mehrfachen Überarbeiten des Bildes. Die Farbe ist der emotionale Träger und bildet einen Grundton, auf dem sich das Bildgeschehen ausbreitet.
Die Linie kommt als zweite Stimme hinzu, in spielerischer Setzung und als abstraktes Lineament, ein Wegesystem, das sich zu zeichenhafter oder gegenständlicher Konkretheit verdichtet. Wir erkennen ein Haus, ein Fenster, ein Tier, einen Weg, einen Fluss, einen Turm, ein Schloss, den Mond und die Sterne. Es sind Phantasiewelten – Wachträumen vergleichbar – mit der archetypischen Gegenstandsbindung und den zwischen Himmel und Erde kreisenden Bahnen der Gedanken und Gefühle.
Die Strukturen sind dicht gesetzt; Aquarell und Monotypie werden kombiniert, mehrfaches Überarbeiten schafft eine spezielle Bildtextur; vor allem der farbige Grund erhält so einen Materialcharakter mit einem nicht nur optischen, sondern eindeutig taktilen Illusionismus.
Bei den Zeichnungen mit weißer Farbe auf schwarzem Grund erhalten Zeichen und Zeichnung einen ernsthafteren Charakter, die Zeichnung erscheint wie eine technische Arbeitsskizze, eine aufgezeichnete Versuchsanordnung aus der Physik beispielsweise. Auf der visuellen Ebene werden die weißen Streifen zu Lichtspuren und die gezeichneten Gegenstände suggerieren kinetische Apparaturen.

Die hier ausgestellten Arbeiten der drei Künstler bilden aufeinander bezogene Werkgruppen, die in ihren Kontrasten und Parallelen ein vielschichtiges Bild der Kunst im so genannten kleinen Format liefern, das neben den traditionellen Zeichen- und Drucktechniken vor allem aus den materialbezogenen Arbeiten und Objekten seine Frische erhält und die Kunst zu einem Begleitmodul des Lebens und des Lebendigen macht.

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