Skriptuale Malerei und Graphik

Und jedes geschriebene Blatt / Wort ist ein
Schritt mehr auf dem Weg von mir zu DIR.

AUFZEICHNUNGEN – BRIEFE
                                        – BLÄTTER
                                        – LETTER´s
.                                   Memo´s                                                                                                                                                                                                                    .                                   – NOTATe                                                                                                                                                                                                     .                                   SKRIPTe

„Wiederholung und Erinnerung sind dieselbe Bewegung, nur in entgegengesetzter Richtung.
Denn was da erinnert wird, ist gewesen, wird nach rückwärts wiederholt, wohingegen
die eigentliche Wiederholung nach vorwärts erinnert wird.“ (Per Kierkegaard)

Von den Erinnerungen in Höhlenmalereienund Felszeichnungen all(T)er Kulturen, den frühesten erhaltenen bildlichen Äußerungen der Menschheit über die Buch-Schrift-Geschichte bis zu den heutigen schriftlosen Piktogrammen spannt sich ein Bogen, den ich mit meinen AUFZEICHNUNGEN – BRIEFEN (ca. 100 m2), in Rollenform wie die ersten Niederschriften nach den Stein- und Tontafeln, aufgreife. Arabische und jüdische Universitätsbibliotheken bewahren und nutzen solche immer noch.
Der hiermit vorgestellte, fast täglich wachsende Werkkomplex – zu dem ebenso BLÄTTER, LETTER´s, SKRIPTe und NOTATe (Monotypien, Radierungen und Zeichnungen) gehören – mit welchem ich Anfang der 90er Jahre begann, ist eine einzige, fortwährende Reflexion über Zeit und Raum, das Leben, über das Künstlerische, Menschliche … und über mich selbst. Parallel dazu arbeite ich gegenständlich Eindrücke vor der Natur aufnehmend in Skizzen, Zeichnungen und Kaltnadelradierungen. Diese sind die Grundlage für abstrahierte Zeichnungen und Malerei, Aquatinta- und anderen Radierungen, Holzschnitte, Lithographien sowie Monotypien, welche ich in meinen zwei Ateliers erarbeite.

Meine „Schrift“ ist universell, teilweise nutze ich Zeichen des Arabischen, Lateinischen, Hebräischen, Persischen, Koreanischen u.a., aber auch Piktogramme und stilisierte Tiere, Bäume, Menschen etc. In der organischen Formenvielfalt der SchriftZeichenBilder stecken ebenso Hyroglyphen wie SchriftKritzeleien von Kindern sowie vielerlei Erzählungen, Ambivalenzen zu den täglichen, ja jederzeitigen Eindrücken, die sich bei Selbstreflexion im Duktus sichtbar machen. Die gemalten und gedruckten SchriftBilder sind fernab jeder Illustration ein Dialog von Literatur, Philosophie, Wissenschaft, Kunst und Mythologie. Quasi vom Urbild ins Ab-Bild mit der Möglichkeit des „sowohl als auch“.
Roland Barthes meint in einer Schrift über André Masson, dass die Wahrheit der Schrift erst zutage träte, wenn sie unlesbar sei. Ohne Eingrenzung durch das Wort und Zeichen wird die Geste des Schreibens und das Bild sichtbar. Meine AUFZEICHNUNGEN sind als Bilder zu betrachten. In ihrer vollkommenen Verweigerung der Dechiffrierung sind sie eigene SchriftBild-Äußerungen und sollen im Dialog stehen mit jedem Betrachter, gleich welchem Kultur-Schriftkreis er angehört. Über die sinnliche Wahrnehmung – mit Zwischentönen, ungewohnt, fremd und doch innerlich vertraut, poetisch – sollen diese AUFZEICHNUNGEN ihre Botschaft vermitteln – nicht über den intellektuellen Inhalt. Über die Unmöglichkeit der intellektuellen Dechiffrierung verweise ich auf die Bedeutung der Schrift als bewußter Informationsträger, ihre Geschichte im Ursprung als BilderSchrift sowie auf die ihr innewohnenden Komponenten wie Ästhetik, Rhythmus und Duktus sowie Proportionalität. Es werden heutige digitale Bilderfahrungen zu analogen in Beziehung gesetzt.
Zeichnen, Malen und Schreiben sind eine unmittelbare Lebens-Äußerung, eine Widerspiegelung der Außen- und Innenwelt sowie die emotionale, sinnliche Mitteilung ihrer selbst, die aus einer Position der Stille und Ruhe, und mit vor allem der Verlangsamung im Widerspruch zu gegenwärtigen äußeren Lebensrhythmen steht. Stundenlange meditative Versenkung in den Prozeß des Aufzeichnens oder Lesens innerer, einstmal abgespeicherter (Schrift- und) Bilder. Zeile für Zeile. Im Rhythmus des Eintunkens der Rohrfeder, der Führung der Kohle/Kreide und der Stifte, der Radiernadel oder des Asphaltpinsels – der SchriftBilder, der Zeilen. Ein unendliches Kontinuum des Schreibens wie beim Bibelschreiben früherer Jahrhunderte. Musiker intonierten bereits diese meine Visualisierungen – Akkorde, Rhythmen gleich, die in ihren Umraum hineinklangen, und so das befreiende Maß der Stille danach wieder um so deutlicher erlebbar machten.

Früher schrieben wir lange Briefe, die Autoren die Roman-Manuskripte mit der Hand. Heute wird dies digital erledigt, auch per Diktaphon, und zum Input der Information werden zum Teil sogar bereits eBook-Reader oder Hörbücher eingesetzt. Terminkalender werden digital geführt, emails und Netzwerke wie facebook ersetzen den handgeschriebenen Brief.
Wann schreiben wir noch per Hand? Wo können wir die – verkümmernde – Hand-Schrift bewundern, in ihrer persönlichen Note, Eigentümlichkeit, Ausrichtung? Auf Notiz- und Einkaufszetteln sowie flüchtig hingeschmierten kleinsten Botschaften – dem Empfänger schamvoll oder erwartungsvoll in die Hand gedrückt. Nach Zweckerfüllung werden sie achtlos weggeworfen. Diese Zettelchen, geknüllt und darübergelaufen, von mir seit 2010 gefunden, im Werkkomplex der „Memo´s“ per Vernis mou-Technik in die Platte übertragen, dabei bestimmte Elemente betonend, und gedruckt, lassen uns eintauchen in ein Stückchen Welt des/r unbekannten SchreiberIn, in deren Gedanken, Bedürfnisse oder Empfindungen. Voyeurhaft ist dies nicht, wenn wir uns an dem ästhetischen Schrift-Bild, den Spuren auf dem haptisch-sinnlichen Papier erfreuen.

In frühester Kindheit verschlang ich Bücher, schrieb selbst. In der ersten Ausbildung als Schriftsetzer konstruierten wir Schrift, lernten die Gestaltung damit. Neben meiner Tätigkeit als Maler/Graphiker lehre ich heute unter anderem Kommuniktionsdesignern auch die Schriftgeschichte, Schriftarten (auch „fremde Schriften“ in der Klassifizierung) und Gestaltung. Ich erfahre, wie heute Wissen meist aus dem Internet „erworben“ und ebenso in den „sozialen Netzwerken“ mittels Button – wenn dann – kommuniziert wird. Bücher oder Briefe schreiben bzw. lesen ist in heutigen Zeiten von sozialer Kommunikationsarmut überwiegend „out“. Diesem wird über die Dimension des/meines „Schreibens“ eine Sensibilisierung für die Lust und Pflicht etwas dem Papier anzuvertrauen bzw. zu entnehmen/erlesen entgegengesetzt. Vielleicht: Wissen, Erfahrungen und Empfindungen. – Und das Bewusstsein/die Achtung des Wertes von Reinheit und Ursprünglichkeit von SchriftBildern sowie der Schrift- und Bildträger Papier, Stein, Putz …

Eberhard Hartwig, September 2014

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Entsprechende ausgewählte Arbeiten sind – zur Zeit noch ausschließlich – unter den jeweiligen Techniken zu finden. Hier wie dort werde ich demnächst weitere Arbeiten einstellen.